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Der Dschungel kommt in die Stadt – ist der „vertical forest“ ein Konzept mit Zukunft?

Januar 10, 2018

Öko ist in. Es hat sich viel getan in unserem Bewusstsein: Green, fair und healthy soll es bitte sein. In einigen Städten wird der grüne Trend jetzt auch von aussen sichtbar. Mitten in der City werden riesige Wälder angelegt. Das mag in Angesicht des häufig vorherrschenden Platzproblems undenkbar erscheinen. Der Trick: bepflanzt wird in die Höhe, und zwar entlang der Hochhaus-Fassaden. Eigentlich schlau, denn senkrechte Flächen bieten die Wolkenkratzer ja durchaus genug.

  

  

Der grösste vertikale Wald der Welt ist momentan in Bogóta in Kolumbien zu finden: Am Santalia Building wachsen scheinbar über 115 000 Pflanzen geradewegs aus dem Beton. Auch Asien springt gerade auf diesen Zug auf. Mit den Ninjang Towers wird in China bald der erste vertikale Wald Asiens entstehen. Deutlich grossflächiger kommt noch das Projekt der Forest City in Liuzhou daher – hier soll sogar eine gesamte Stadt in einen Urwald verwandelt werden.

Experimentierfreude und Lebenswert sind es, das die Forest City Modelle ausstrahlen. Die eigentliche Motivation war allerdings ein handfestes Problem, das gerade in asiatischen Städten dringende Lösungen erfordert: Die hohe Luftverschmutzung und Smogbelastung in den Megametropolen. Ziel der Vertical Forests ist die Entstehung eines Mikroklimas, das in den Quartieren oder am und im Gebäude entsteht: Die Pflanzen geben Feuchtigkeit ab, nehmen Kohlenstoffdioxid auf und produzieren Sauerstoff. Zusätzlich schützen die Bäume vor Lärm und direkter Sonneneinstrahlung.

Ist der „Vertical Forest“ also ein Konzept für Megametropolen mit Platzmangel und Saubere-Luft-Problemen? Scheinbar nicht nur. In Mailand ist der Wohnhauskomplex „Bosco Verticale“ Ausdruck der neuen Bewegung und auch in der Schweiz ist das erste bewaldete Hochhaus in Planung. Es geht aber noch schräger – im wahrsten Sinne des Wortes. Während die Pflanzen der oben genannten Projekte auf Terrassen stehen, plant das Stuttgarter Startup „Visioverdis“ waagerecht wachsende und ständig rotierende Bäume in Städten an Fassaden zu befestigen. In Deutschland denkt man in Sachen Citybegrünung also richtig quer.

Aber ist das senkrechte Grün wirklich mehr als exzentrischer Ausdruck des grün-nachhaltigen Hypes? Lohnt sich der Aufwand für Investoren? Welche konkreten Vorteile bietet der vertikale Wald? Ist er wirklich spürbar und effektiv in der Lage, für bessere Grossstadt-Luft zu sorgen und Luftverschmutzung zu reduzieren? Und könnte sich ein solches Konzept in Deutschland mit Frankfurt als einziger Wolkenkratzer-Stadt durchsetzen?

„Keine Frage, der vertical forest ist ein spannender und attraktiver neuer Trend im Bereich der Immobilienprojektentwicklungen“, sagt Oliver Bergmann, JLL Office Investment Hamburg. „Nachhaltigkeit ist wichtiger denn je. Die Anzahl der Investmentvehikel, die ausschliesslich in Green Buildings mit entsprechenden Zertifizierungen investieren können, steigt jährlich. Und auch Mieter fragen verstärkt solche Flächen nach, um ihre internen Nachhaltigkeitsziele und -vorgaben zu erfüllen.“

So weit, so gut. Aber ist der vertical forest wirklich so ein entscheidender Nachhaltigkeits-Boost für grosse Büro- oder Wohngebäude? Geht wirkliches „Green Building“ nur mit senkrecht wachsenden Gräsern und Bäumen?

„Hinsichtlich eines Mikroklimas direkt an und um die Fassade lässt sich wohl mit dem vertical forest durchaus etwas erreichen. Auch als so genannte Trittsteinbiotope für Insekten oder Vögel kann es positive Effekte geben“, sagt Christoph Merten, Team Leader Project & Development Services Frankfurt. „Ob letztlich dadurch aber das Gebäude nachhaltiger wird, ist fraglich. Wo durch die für den vertical forest notwendig gewordene Konstruktion mehr Beton verbaut und mehr Statik gebraucht wird, fällt die CO2-Bilanz wohl schon negativ aus, bevor überhaupt der erste Baum gepflanzt, oder besser „aufgehangen“, ist. Natürlich filtern Bäume Schadstoffe aus der Luft, aber auf die allgemeine Luftverschmutzung einer ganzen Stadt hat das höchstwahrscheinlich kaum spürbare Auswirkungen. Studien hierzu stehen noch aus und sind nicht Grundlage der Einschätzung.“ Letztlich ist dies neben den wirtschaftlichen Faktoren und der Idee des Neuen/Anderen immer auch eine Entscheidung bzgl. Dichte, Lage, Verschmutzung der jeweiligen Bereiche und damit sind die Effekte –positiv oder negativ- standortabhängig unterschiedlich bewertbar.

Zudem bleibt die Frage nach der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit – vor allem wenn man auf die generell steigenden Bau- und Investitionskosten aber auch Bewirtschaftungskosten und die weiter fallenden Renditen blickt. „Kostentechnisch ist der vertical forest wohl nicht nachhaltig“, sagt Merten. „Für die Mehrkosten, die erhöhte Planungs- und Konstruktionsleistung mit sich bringen, könnte –unabhängig einer Flächenthematik – ein Vielfaches an Waldfläche aufgeforstet werden.“ Und Oliver Bergmann ergänzt: „Insbesondere im Core Segment – und nur hierfür kommt der vertical forest in Frage – befinden sich die Renditen auf einem historischen Tiefpunkt. Ein Mehr an Betriebs- und Unterhaltskosten wäre hier kontraproduktiv. Zumal diese nur begrenzt auf die Mieter umlegbar sein würden, denn deutschlandweit werden auch die Mieten über die kommenden Jahre deutlich ansteigen.“

Lohnenswert oder wirtschaftlich vertretbar wäre der vertical forest für Investoren aktuell also nur durch entsprechende Subventionierungen der Stadt oder des Landes. Allerdings müsste dann der nachhaltige Nutzen für Gesamtgebäude und Stadtluft deutlich spürbarer ausfallen.

Anders sieht das Ganze mit dem Grün im Inneren aus. „Erste Studien zeigen, dass bepflanzte Innenwände einen positiven Einfluss auf das Raumklima haben“, sagt Stefanie Eisenbarth, Team Leader JLL Workplace Strategy. „Die Pflanzen mindern die CO2-Belastung und erhöhen die Luftfeuchtigkeit, die in ‚normalen‘ Räumen gerade in den kalten Monaten oft zu niedrig ist und zu trockenen Augen, Kopfschmerzen oder Konzentrationsschwäche führt.“

Es sind u.a. diese Gründe und das verbesserte subjektive Wohlbefinden, das Mitarbeiter produktiver arbeiten lässt, die den Wunsch nach mehr Büro-Grün abseits der klassischen Benjamini immer stärker werden lassen. Stefanie Eisenbarth: „Arbeitsplatzkonzepte binden das Thema Pflanzen häufig aktiv in die Gestaltungsvorgaben mit ein. Vertical gardens sind dabei noch recht neu, aber immer mehr im Kommen. Weil die Auswahl an Pflanzen immer grösser, die Pflege immer einfacher und die Anforderungen an den Standort immer geringer werden. Grösse, Trennwand oder kompletter Raum, bemooste dunkle Ecken mit integrierter Beleuchtung – fast alles ist mittlerweile machbar.“ Und neben machbar auch höchst funktional, tragen doch insbesondere Mooswände dazu bei, die Akustik im Raum zu regulieren. „Nachhallzeiten können merklich gesenkt werden“, so Eisenbarth.

Grundsätzlich kann ein vertical garden in den meisten Flächen und Räumen zum Einsatz kommen. Sie sind mit Blick auf Produktivität und Wohlbefinden vor allem in den Bereichen sinnvoll, die Mitarbeiter tagtäglich nutzen. Auch als Trennung im Open Space werden sie immer populärer. „Unternehmen setzen die grüne Wand heute aber vor allem ein, um Akzente zu setzen, zum Beispiel in der Cafeteria oder im Empfangsbereich“, sagt Stefanie Eisenbarth. „Gerade für Letzteres bieten sich Sonderformen wie das eigene Unternehmenslogo in grün an, die Blicke sofort auf sich ziehen.“

Und Prestige- und Imagegründe sind es in der Regel auch, die den Ausschlag für die Entscheidung für eine Aussenfassade mit vertical forest geben und eine Investition rechtfertigen können – obwohl das Ganze rein rechnerisch wirtschaftlich eher nachteilig ist. „Der vertical forest bleibt wohl ausserhalb des Gebäudes auf reine Vorzeigeprojekte beschränkt. Und damit die funktionieren, muss die komplette Planung, innen wie aussen, genau auf Zielgruppe und Zielsetzung zugeschnitten sein“, sagt Christoph Merten. Und auch Oliver Bergmann ergänzt: „Natürlich hat ein vertical forest-Objekt enorme Ausstrahlung auf den Markt, die dem Entwickler viel Popularität bringen und seine Bekanntheit steigern würde. Diese Wirkung kann sich aber auch ganz schnell umkehren, sollte das Projekt scheitern.“

Aussen (bisher) reines Prestige und Vision, innen mittlerweile so etwas wie Standard – der vertical forest hält Einzug in unsere Bürogebäude. Seine flexiblen Einsatzmöglichkeiten in so gut wie jedem Raum werden ihm auch langfristig einen festen Platz bei der Gestaltung von Büroflächen sichern.

Von Antje Dalichow