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Vom Laden zum Büro - wann und warum sich eine Umnutzung lohnt

Dezember 05, 2017

Hannover, Bahnhofstrasse 5. Der 50er-Jahre-Bau mit der gleichmässig-zurückhaltenden Fassade weiss, was Make Over heisst. Nicht von aussen, sondern vor allem im Inneren. Früher wurden hier Filme gezeigt. Das Palast-Theater war das Premierenkino in und um Hannover. The place to be, wenn der neue James Bond anlief. Anfang des Jahrtausends ersetzten Schaufenster und Ladenregale Saaleingang und Cinemascope-Leinwand. Eine grosse Treppe kam mittenrein und führte die Kunden zu den Kleiderstangen im 1. und 2. Obergeschoss – bis der Online-Handel Oberhand gewann und die Flächen oben weniger rentabel machte. Dafür wollen Unternehmen in die Innenstadt. Heute praktizieren Ärzte und verhandeln Anwälte, wo Roger Moore einst auf Zellophan die Welt rettete. Und unten verkauft Apple – auf einer grossen clean-modernen Fläche, die jetzt ganz ohne störende Säulen auskommt. Und die Freitreppe in der Mitte? Die hat Platz gemacht für mehr Büros. Deutschlands Innenstädte und Geschäftshäuser wandeln sich. Und zeigen ihre Vielseitigkeit. Gezwungenermassen.

     

     

Der Markt will Büros – und zwar gerne in der High Street

Denn der Umbruch aufgrund der Digitalisierung, der den Buchhandel bereits vor Jahren verändert hat, ist heute vor allem auch in der Textilbranche angekommen. „Das neue Surf-And-Buy-Konsumverhalten führt – und das ist in der aktuellen Nachfrage auch deutlich spürbar – zu einem geringeren Flächenbedarf im stationären Einzelhandel“, sagt Daniel Süssenbach, Principial Consultant im JLL Retail Leasing Team. „Das Umdenken in neue, kleinere Flächenkonzepte mit Showroom-Charakter hat bereits begonnen. Vorhandene Flächen in den Obergeschossen werden von vielen Einzelhändlern nicht mehr benötigt. Weil sie – insbesondere aufgrund des höheren Personalbedarfs – unwirtschaftlich geworden sind.“

Gerade für innerstädtische Geschäftshäuser gilt die aktuell im gesamten Immobilienmarkt vorherrschende Diskrepanz von Angebot und Nachfrage in besonderem Masse. „Deren Spitzenrendite liegt – über die Big 7 Städte hinweg – nur noch bei 2,96 Prozent“, sagt Boris Wachter, National Director und Team Leader des JLL Investment-Bereichs. „Und das weiterhin mit leicht rückläufiger Tendenz. Auch für Fachmärkte, Fachmarktzentren und Shopping Center, deren Renditen in den letzten Monaten noch relativ stabil blieben, erwarten wir eine weitere Kompression.“

Was steigt und weiter steigen wird, sind vor allem die Büromieten. Und Büros werden händeringend gebraucht. Das stabile Wirtschaftswachstum von annähernd 2 Prozent pro Jahr sorgt nicht nur für eine hohe Beschäftigungsquote, sondern lässt auch zahlreiche neue Arbeitsplätze entstehen und die Zahl der täglich ins Büro Strömenden weiter wachsen. Die Folge: Ein enormer Nachfrageüberhang – nicht nur in unseren Metropolen, sondern auch in den B- wenn nicht gar C-Städten. „In Zeiten des Fachkräftemangels sind Arbeitgeber darauf angewiesen, das Arbeitsumfeld so arbeitnehmerfreundlich wie möglich zu gestalten“, sagt Dominik Talhof, Consultant im JLL Office Leasing Team. „Eine zentrale Lage sowie neue Arbeitswelten sind hierbei immer häufiger von entscheidender Bedeutung. Der zunehmende Bedarf an hochwertigen Büroflächen sowie sinkende Leerstandsquoten machen eine Umnutzung von Einzelhandelsflächen in den Obergeschossen für Eigentümer attraktiver denn je – zumal die wenigen Neubau-Büroprojekte, die entstehen, schon in der Planungsphase stets nahezu vollvermietet sind.“

Spätestens jetzt ist klar, in welche Richtung Eigentümer von innerstädtischen Geschäftshäusern heute und in Zukunft denken und planen müssen. Doch ist die Umwandlung seiner Ladenflächen zu Büroräumen nur gezwungene Marktnotwendigkeit? Oder doch auch die Chance, sich schon heute für zukünftige Heraus- und Anforderungen flexibel aufstellen zu können und sich einen entscheidenden Vorsprung vor Mitbewerbern zu sichern?

„Letztendlich geht es ja nicht darum, sich oder seine Immobilie mit der Umwandlung ehemaliger Verkaufsflächen in Büros einmal zu verändern und dann auf ewig festzulegen. Flexibilität ist das Ziel“, sagt Boris Wachter. Und nicht nur das: Die Flexibilität der eigenen Immobilie(n) ist unbedingtes Muss für ein auch in Zukunft gut performendes Portfolio. „Ob Lager, Anwaltskanzlei oder Zahnarztpraxis – eine Fläche muss immer so an- und ausgelegt werden, dass sie sich je nach aktuellem Bedarf an alle denkbaren Nutzungsszenarien anpassen lässt“, so Wachter weiter. „Und das mit möglichst geringem Aufwand.“

„Unter anderem die neue Startup-Kultur und schnell wachsende Unternehmen befeuern den Trend zu kürzeren Vertragslaufzeiten im Bereich der Bürovermietung“, sagt Dominik Talhof. „Als Eigentümer sollte man für durchaus auch mal häufigere Nutzerwechsel gerüstet sein und seine Flächen so ausrichten, dass der Switch von beispielsweise Einzelbüros hin zum Grossraum oder Open Space problemlos möglich wird.“ „Und auch für langfristig bleibende Unternehmen sollten Änderungen in der Raumstruktur machbar sein“, ergänzt Boris Wachter. „Arbeitsplatzkonzepte unterliegen heute häufiger Anpassungen oder neue Teamaufstellungen machen Änderungen auch im Raum notwendig. Wer mit seinen Flächen eine hohe Flexibilität anbieten kann, sichert sich hier einen Wettbewerbsvorteil, den gerade der Markt im Bestand so aktuell noch nicht in der Breite abdecken kann.“

Eine vielfältig aufgestellte Immobilie bietet ausserdem die Chance, eine gewinnbringende Wechselwirkung zwischen den einzelnen Flächen und Nutzern zu schaffen. „Gerade für Cafés oder typische Mittagstisch-Gastronomien sind darüber liegende Büros und die hier arbeitenden potenziellen täglichen Gäste natürlich ein lohnenswerter Anreiz, genauso wie umgekehrt“, sagt Daniel Süssenbach. „Dasselbe gilt zum Beispiel auch für Reinigungen, Herrenausstatter oder kleine Copy Shops und Druckereien, je nachdem welchen Schwerpunkt die Büroräume darüber setzen.“

Vorausschauend planen ist das A und O

Wer die Flexibilität und Synergieeffekte seiner Immobilie in dieser Weise ausschöpfen will, muss vorausschauend und genau planen. Eine entsprechende Beratung und genauso reibungsfreie Ausführung des Umnutzungsprojekts ist unbedingt notwendig. „Gerade im Falle eines solchen Misch-Konzepts muss sichergestellt sein, dass die konkrete Nutzung im Alltag auch funktioniert“, sagt Julian Schinke, Team Leader JLL Project & Development Services. „Vor allem die Erschliessung der einzelnen Bereiche sollte einfach und platzsparend und dennoch entsprechend repräsentativ angelegt werden“ Auch innerhalb der einzelnen Abschnitte muss genau überlegt werden, wo bestehende Wände entfernt und durch flexibel verschieb- oder einsetzbare Wandteile ersetzt werden können. Hinzu kommen Schallschutz-Aspekte. „Je nach Anforderung sollten mit Blick auf Geräuschübertragung zum Beispiel unterschiedliche Böden verlegt oder die Wandbeschaffenheit entsprechend angepasst werden“, so Schinke weiter.

Ebenso wichtig ist es, notwendige technische Installationen genau zu durchdenken. Julian Schinke: „Anschlüsse, Leitungen und Verkabelung müssen, wenn möglich, detailliert und zugleich flexibel vorausgeplant werden. Wo heute lediglich eine Verkaufsfläche untergebracht ist, könnte morgen schon ein Anwalt sitzen oder eine Agentur, die die Raumkonfiguration in regelmässigen Abständen auf geänderte Team- oder Projektstrukturen anpassen möchte Wer in die Zukunft denkt, bereitet seine Immobilie entsprechend vor.“

Flexibilität in der Immobilie verlangt auch flexibles Denken in Bezug auf die eigene Portfolio-Strategie. Einzelhändler haben sich der Herausforderung der Digitalisierung bereits gestellt. Oder sind zumindest mittendrin. Jetzt ist die Zeit für Immobilieneigentümer gekommen, dies ebenfalls zu tun. Viel gewinnen kann man dabei allemal.

Von Antje Dalichow